Die Geschichte das sind
wir
Rückblick auf die
Tage in Wolfenbüttel / Development Workshops 1999
Raymond Chandler, der eher
grimmige Mensch, wird mit der Feststellung zitiert: ›Wenn es keine Kunst
des Drehbuchschreibens gibt, so ist das teilweise darauf zurückführen,
dass es keine verfügbare Zusammenfassung theoretischer und praktischer
Vorgaben gibt, um sie zu erlernen.‹ Mag sein, dass es so damals in Hollywood
und Europa war. Heute ist eher das Gegenteil der Fall. Neben Büchern
über diverse Aspekte des Drehbuchschreibens gibt es unzählige
Workshops, Sessions, Centers, Kurse, Programme und Crash-Kurse (früher
sagte man dazu: Schnupperkurse), die - wenn auch unterschiedlich vom Ansatz
her und von der Qualität und Seriosität des Fortbildungsanspruchs
stark voneinander abweichend - ihre Teilnehmer finden. Und trotzdem bleibt
die Frage berechtigt: Worin besteht eigentlich die Kunst des Drehbuchschreibens?
Und, wenn es eine gibt: kann man sie den anderen beibringen? Wenn ja: mit
welchen Mitteln? Gesetzt den Fall, ein jeder Kursteilnehmer sei ein talentierter
Erzähler, welche Lernmethoden seien die wirksamsten? Sollen sich die
Mentoren nur auf das Handwerkliche, sprich: die Kenntnisse der dramaturgischen
Strukturen, Genres, die Fähigkeit, den Figuren ein gewisses Leben
zu verleihen, konzentrieren und das Persönliche weitestgehend ausklammern?
Woran lässt sich das Besondere einer Geschichte ausmachen, was meint
der oft heraufbeschworene ›spezielle Blick‹ des Autors auf das Thema, wie
eine Originalität in der Welt der permanenten Nachahmung und Fälschung
erreichen?
Als ich Hilde Berger im
Mai 1999 in Wien besucht habe, fielen mir zuerst ihr ›Wiener Humor‹, eine
angenehme Leichtigkeit in der Wahrnehmung aller angeblich so wichtigen
Dinge des Lebens wie Geld, Karriere, Macht auf. Als wir dann an die Auswahl
der Stoffe der Spielfilmgruppe gingen, war jene Leichtigkeit weg. Sie wich
einem Ernst, mutierte in geduldige ›Noch-Mal-Von-Vorne-Lesen‹-Haltung und
gescherzt wurde auch nicht mehr. Hildes Lieblingsfrage beim Wein im Heurigen
war: ›Was glaubst Du, worum geht es in der Geschichte wirklich?‹
Andreas Voigt, Mentor der
Dokumentarfilmgruppe, fragte vor der Auswahl, ob er sich denn nicht einige
Filme der Bewerber angucken kann. Das sei ihm wichtig, ließ er mich
am Telefon wissen, schließlich fühle man dann besser, wie einer
erzählt. Jacek Blawut, der gemeinsam mit Andreas Voigt die Dokumentarfilmgruppe
betreute, interessierte sich bei der Auswahl besonders für die angedachte
Form des Projektes, dafür, ob der Bewerber sich Gedanken gemacht hat,
wie er seine Idee ausdrücken kann. ›Gibt es da starke Bilder?‹ fragte
er mich, als ich ihn in Lòdz anrief. Und immer wieder: das wirkliche
Thema, der Subtext, das Besondere.
Als sich im Juli 1999 die
Teilnehmer der Development Workshops 1999 zum ersten Mal begegneten, stellten
sie sich bestimmt nicht die Frage, ob es die Kunst des Drehbuchschreibens
gebe. Ihr Anliegen war praktischer, sie wollten eine ›gut erzählte
Geschichte‹ in Gang bringen und erfahren, wo die anderen die Schwächen,
aber auch Stärken der jeweiligen Geschichte sehen. Und sie wollten
Produzenten und Redakteure finden, die bereit wären, ihre Geschichte
zu kaufen. Als sie im Dezember 1999, fünf Monate nach dem ersten Seminar,
statt zu pitchen mit den eingeladenen FernsehredakteurInnen und Filmproduzenten
bis in den späten Abend über ihre Stoffe, aber auch über
die Haltung zum Beruf, sprachen, fragten wir uns, ob es doch noch eine
Kunst des Drehbuchschreibens gebe. Eine vielleicht von vielen, die jeder
im Laufe der Zeit für sich herausfindet, für die sich jeder selbst
entscheiden muss. Die Kunst, jene Zeit, in der wir miteinander arbeiten,
zugunsten unserer Ideen arbeiten zu lassen.
Die Kunst, in die Projekte
und in die eigene Welt der Bilder, Vorstellungen, Erfahrungen und Ansichten
einzutauchen und anzuhalten, sich umzuschauen, was dort alles wächst,
wuchert, auf Entdeckung wartet. Die wichtigste Erkenntnis der Development
Workshops 1999 für mich war, dass jedes Projekt und jeder Autor seine
Zeit brauchen und dass es sehr hilfreich ist, wenn die Einsamkeit des Schreibens
durchbrochen wird mit Begegnungen und Diskussionen, die uns spüren
lassen, dass andere sich für uns den Kopf zerbrechen, dass wir jetzt
wahrscheinlich die beste Lösung für ein Problem gefunden haben,
an dem wir an unseren Schreibtischen so lange nachgrübelten.
Ich halte vor mir den Ausschreibungs-Flyer,
in dem ich u. a. schrieb: ›Das Ziel der Development-Workshops ist es, die
erste bzw. zweite Drehbuchfassung herzustellen‹.
Ich habe mich geirrt. Das
Ziel lag nicht in der Herstellung der ersten, oder zweiten Drehbuchfassung.
Das Ziel war: einen Wandel in den Köpfen der Autoren herbeizuführen,
ihnen zu zeigen, dass sie den Zugang zu ihren Ideen finden werden, wenn
sie sich die richtigen Fragen gestellt haben. Das Ziel war, zu erkennen,
dass Enttäuschungen aufgrund von Absagen nicht zwingend auf die Qualität
der Projekte zurückgehen müssen. Ein weiteres Ziel war, Fragen
aufzuwerfen, die wir uns nicht immer zu stellen trauen und Wege aufzuzeigen,
die sich einem jeden Projekt auftun, vorausgesetzt, man bleibt spielerisch
und diszipliniert zugleich, zäh und doch flexibel und lässt sich
auf Wellen ein, die einen mal angenehm tragen, mal wegstoßen. Die
meisten der Autoren sind jetzt dort angekommen, wo die Mentoren und ich
sie gern sehen wollten. Sie haben ihr Thema entdeckt. Sie haben mal Anerkennung,
mal Kritik erlebt und können damit gut umgehen. Sie haben ein Projekt,
das sie den Produzenten und Redakteuren mit einem guten Gefühl vorlegen
können, weil das, was erarbeitet wurde mit der heutigen Zeit
und mit der eigenen Sicht des Autors eng verknüpft ist. Zu verdanken
ist diese gute ›Ernte‹ der Development Workshops 1999 allen, die daran
teilgenommen und die einzelnen Entwicklungsstufen begleitet haben. Ein
großer Dank geht an die eingeladenen Redakteure und Produzenten,
die insgesamt 15 in der Drehbuch-Werkstatt Niedersachsen entwickelten Projekten,
wenn nicht in allen Fällen zur Realisierung, so doch noch zum Gedeihen
verholfen haben. (Fortsetzung folgt)
Dorota M. Paciarelli (Leiterin der Drehbuch-Werkstatt Niedersachsen)