Film & Medienbuero Niedersachsen

· Rundbrief 46 ·
Festival-Rückblick


Erstes russisches Festival für anthropologische Filme in Salechard/Sibirien

Brigitte Krause, Dokumentarfilmerin, Jürgen Rudow, Dokumentarfilmer, Rolf Husmann, Festivalorganisator und Produzent beim Institut für den Wissenschaftlichen Film, Göttingen, und Jörg Witte nahmen am ersten russischen Festival für anthropologische Filme im sibirischen Salechard (autonomer Distrikt der Jamal-Nenzen) vom 23.-30.8.1998 teil.

GIEFF-Auswahlprogramm

Der Präsentation eines Wettbewerbprogramms russischer ethnologischer Dokumentarfilme folgten tägliche Seminare sowie ein kleines internationales Filmprogramm, das aus Beiträgen des ›Göttingen International Ethnographic Film Festivals‹ zusammengesetzt war. Ermöglicht wurde dies u. a. durch die Unterstützung des Auswärtigen Amts und der niedersächsischen Landesregierung.

Aus dem Göttinger Programm liefen Tokyo, back for the future von Brigitte Krause, Boom Boom Bang von Hanno Baethe und Zaki Omar, Pomak women von Asen Balikci (Bulgarien), Und wenn Du auch ins Wasser springst, in die Erde kehrst du doch zurück von Jürgen Rudow, Sennenballade von Erich Langjahr (Schweiz) - eine Veranstaltung mit zwei weiteren Filmen mußte leider wegen Stromausfall abgebrochen werden.

Ärgerlich war, daß diese einzigen internationalen Beiträge, die - soweit notwendig - auf russisch eingesprochen wurden, parallel zu einem ›Informationsprogramm‹ liefen, so daß sich die Zuschauerschaft aufteilen mußte; ungewöhnlich war, daß wir erst am zweiten Festivaltag von der Konkurrenz erfahren haben.

Teilnehmer des Festivals waren vor allem Wissenschaftler verschiedenster Fachgebiete, einige Filmemacher, Archivmitarbeiter etc., die zusammen mit uns ausländischen Gästen in einer Sondermaschine der ›Jamal Air‹ aus Moskau nach Salechard geflogen wurden.

Reiche Jamal-Region

Salechard ist die Hauptstadt des Autonomen Distrikts der Jamal Nenzen, einem sogenannten ›Subjekt‹ innerhalb der russischen Föderation, was in der Praxis eine relative politische wie ökonomische Autonomie bedeutet. Dies ist insofern von Bedeutung, weil der Jamal-Region Reichtum nachgesagt wird, da der größte Teil der russischen Erdgasvorkommen, neben anderen Ressourcen, in diesem Gebiet liegt. Man sieht dies auf Schritt und Tritt, überall wird gebaut und rekonstruiert, ganze Stadtteile entstehen neu, Staat und Stadt setzen hier Geld um. In diesem Rahmen sind drei Großveranstaltungen zu sehen, die den Sommer ›Salechard 98‹ ausmachen, eine davon ist dieses Festival.

Standortbestimmung des Festivals

Insgesamt ist den Veranstaltern ein Festival gelungen, das Fachleute aus verschiedenen wissenschaftlichen Gebieten zusammenbrachte und zu einem intensiven Meinungsaustausch führte, das aber auch die Frage offen ließ, für wen darüber hinaus? Macht es Sinn ein Flugzeug aus Moskau herfliegen zu lassen, dann zu 90% unter sich zu bleiben, eine Woche zu diskutieren, Filme zu sehen, zu essen und zu trinken, und dann wieder zurückzufliegen? Was bleibt? Die Frage nach dem Veranstaltungsort. Warum findet so ein Festival in Salechard statt?

Die Antwort kommt vom Generaldirektor des Hauptsponsors ›Jamalinform‹, Juri A. Kukevich, der uns in einem Gespräch einige Informationen zu Jamal gibt. Der Gouverneur des Jamal-Nenzen Distrikts selbst sei Vertreter einer der ethnischen Minderheiten und unterstütze alle neue Initiativen und Ideen, und diese Veranstaltung, so fügt Kukevich hinzu, habe ein wirkliches Anliegen. Er erklärt, die organisatorische Arbeit und die Finanzierung sei Sache Jamals gewesen, der wissenschaftliche Teil sei aus Moskau gekommen. Allerdings macht diese Konstruktion m. E. nicht unbedingt Sinn, da die Gefahr besteht, daß sie folgenlos bleiben könnte: Sollte eine solche Veranstaltung fort- und weiterentwickelt werden, muß Salechard auch inhaltlich eine größere Rolle spielen und - was gleich wichtig ist - diese Veranstaltung muß sich international öffnen. 1993 und 1995 fanden zwei Vorläuferkongresse in Moskau statt, die im Grunde die gleichen Leute zusammenführten wie jetzt in Salechard, aber eine Fortentwicklung in Diskussionen, und in den präsentierten Projekten zu erkennen, auch in der Bereitschaft über die Filme zu reden, bleibt schwierig. Man hat manchmal den Eindruck, daß Diskussionsbeiträge eher zur Selbstdarstellung der Diskutanten dienen, denn der Sache.

Ausländische Beteiligung verstärken

Die ausländische Beteiligung ist zu schwach ausgeprägt. Neben uns Deutschen bildeten ein ungarisches und ein bulgarisch-kanadisches Jurymitglied die internationale Komponente, eher Beiwerk als den Thematiken des Festivals gerecht werdend. Viele Filme werden gerade auch über die ethnischen Minderheiten des Nordens von ausländischen Dokumentarfilmern gedreht; diese gehören genauso auf ein solches Forum, da sie die Frage nach Methodik und Ästhetik von Filmen, fruchtbar ergänzen können. In der Visuellen Anthropologie ist endlich eine Beteiligung Rußlands auf internationaler Ebene und eine Auseinandersetzung russischer Wissenschaftler mit denen aus Amerika, Skandinavien oder Afrika nahezu unerläßlich.

Ob in Salechard oder anderswo in der Russischen Föderation ein wirklich internationaler Meinungsaustausch visueller Anthropologen stattfindet ist dabei unerheblich. Salechard aber hat gute Voraussetzungen: eine nahezu perfekte Organisation, keine Pannen, sehr gute Betreuung der Gäste in den Hotels, technisch bestmögliche Vorfühungen und geeignete Veranstaltungsräume und -technik, alles unerwartet für den, der die russische Form der Festival-Organisation etwas kennt. All das läßt hoffen auf ein zweites Festival, im Jahre 2000 vielleicht?

NB: Daß ein weit verbreitetes Vorurteil über die russische Planlosigkeit aufgehoben gehört, beweist die Tatsache, daß bei Hin- und Rückflug von Hannover nach Moskau, der über Brüssel lief, jedesmal in Brüssel(!) unser Gepäck, einmal für drei Tage, einmal für ? Tage, verloren ging. Erstmal in Moskau, wurde es prompt mit ›Jamal Air‹ nach Salechard nachgeschickt.

Hannover, 31.8.98, nach einer 39stündigen Rückreise

(Jörg Witte)


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Osnabrück-Net Letzte Änderung: 25.09.98
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