Film & Medienbuero Niedersachsen

· Rundbrief 44 ·
Weiterbildung


›workshop scriptwriting‹:
Schlicktown und die bunten Hunde

Vom 2. bis 5. März 1998 veranstaltete die Bundesakademie für kulturelle Bildung in Wolfenbüttel den ›workshop scriptwriting‹ in Zusammenarbeit mit der Drehbuch-Werkstatt Niedersachsen des Film & Medienbüro Niedersachsen. Zehn junge Drehbuchautorinnen und -autoren arbeiteten in Theorie und Praxis an ihren ersten scripts.

Der Auftakt ist profan. Montag Anreise bis 10.30 Uhr. Vorstellung, Mittagessen im Chinarestaurant, Gruppenarbeit, ab 20 Uhr: ›Nach Wunsch Weiterschreiben an den Stoffen‹. So will es das Programm. Aus beruflichen Gründen kann ich erst mittags in Wolfenbüttel sein, Punkt 13 Uhr sitze ich im ›Wan Bao‹. Warten zwischen monströsen Drachenbildern und schlitzäugig-lächelnden Obern auf Birgit, Paul, Horst, Leonie, Nils, Claudia, Dirk, Catherine und Tony. Catherine Welly? Ein Pseudonym? Tony Tonagel? T.T. - ein total tougher Typ? Spannung. Dann tröpfelt ein buntes Völkchen ein, es werden köstliche Speisen gereicht, ein Scherz jagt den anderen, Tony ist überhaupt nicht so tough wie befürchtet und die Stimmung rundum prächtig.

Es kann losgehen - auch für mich. Von etlichen Bewerbern sind wir die zehn ausgesuchten Glückspilze, die am Workshop teilnehmen dürfen. Ehre, wem Ehre gebührt? Schon das Szenario am Mittagstisch ist filmreif, wir sitzen in der hintersten Ecke des Lokals wie eine verschworene Mafiosi-Gang, bevor es an die Projekte geht.

Felix und das Klonen

›Es gibt nichts Neues im Kino‹, orakelte Hollywood-Regisseur Walter Hill während eines Interviews. Dem mochte zumindest einer widersprechen, T.T., der mit Felix aufwartet, einem Stoff, bei dem es ums Klonen geht. Mit Hill muß aber der vielversprechende Nachwuchsautor erkennen: ›Die dümmste Person, die Sie aus der Realität kennen, ist immer noch sehr viel komplizierter als die komplizierteste Figur auf der Leinwand‹. Dabei ist Tonys Story vom künstlich gezeugten Menschen, der zunächst nichts über seine Herkunft weiß und sich mit seiner Freundin ein Kind wünscht, wirklich kompliziert genug. Was überhaupt ist ein Klon? Ist das Bedürfnis des Protagonisten glaubhaft? Was ist sein Ziel? Was überhaupt das Thema?

Absurd bis surreal: ein Kinderspiel

Auch die Wandlerin zwischen den Welten, Claudia Hamm, betritt mit ihrer Ex-DDR-Geschichte Neuland. Ihr Arbeitstitel Kinderspiel macht auch sie noch nicht ganz glücklich, deutet jedoch bereits den Blickwinkel an. Aus der Sicht der 13jährigen Jana soll der Mikrokosmos einer bürgerlichen Familie im Arbeiter- und Bauernstaat nachgezeichntet werden, kurz vor der Wende, absurd, apolitisch bis surreal, mit dem Gefühl einer still verharrenden Zeit. Der Ausreiseantrag ist gestellt, Jana wird mit ihren Eltern in den Westen machen. Vorher sind da aber immer wiederkehrende Begegnungen auf einer Wiese mit mannshohem Gras, wo ein Wichser sein (Un-)Wesen treibt - eine Metapher als Vorahnung auf eine dem Verfall preisgegebene Gesellschaft? Wie aber um alles in der Welt ist dieser Zeitstillstand szenisch umzusetzen, wie können die Bilder aus Janas Kopf dem Zuschauer vermittelt werden?

Liebe und Bomben in Schlicktown

In Schlicktown von Nils Böke geht es da schon etwas handfester zu, das Exposé entpuppt sich geradezu als Explosé. Internationaler Öko-Terrorismus ist angesagt, Fabrikanlagen gehen in die Luft, umrankt, wie könnte es anders sein, von einer Liebesgeschichte zwischen einer Bombenlegerin und einem Firmenmanager. Alles ganz passabel, bis auf den Titel vielleicht. Ja, das wisse doch jeder, läßt der Schöpfer wissen, das sei doch klar. Bei dem Ort Schlicktown handele es sich um Wilhelmshaven. Andere assoziieren da eher Comic, oder Otto Waalkes. Warum nicht gleich Mike Krüger als Darsteller verpflichten?

Dank an den besonnenen, stets mit pädagogischer Behutsamkeit eingreifenden Seminarleiter Michael Joe Küspert! Schließlich soll es schon Autorinnen und Autoren gegeben haben, die ihre Präsentation als unfreiwilliges outing begriffen, weil die Story ein stückweit eigene Erlebnisse oder gar einen Teil der eigenen Biografie transportiert, zumindest eigene Vorstellungswelten aufzeigt. Da, ermutigt Küspert, muß jeder durch. Gedankenpause. Blick in die Runde. ›Wer möchte als nächstes?‹ Geschickt zieht unser Drehbuch-Guru die Fäden, seine Schäfchen läßt er an der langen Leine auf unwegsames, weil spekulatives Terrain vorstoßen, um sie dann wieder zurückzuführen auf die Essentials: ›Was willst Du uns damit sagen? Worum geht es in Deinem Plot?‹

Ordnung und Chaos in The Rock

Den Kopf voller Fragen und mit dem Drang vors unfertige Manuskript - Filmanalyse. Der Action-Thriller The Rock reißt niemand wirklich vom Hocker, doch Küsperts Dozenten-Kollegin Katrin Laur, die eine von den zwei gebildeten Arbeitsgruppen betreute, brachte uns vornehmlich an den Vormittagen im Plenum (mitunter auch noch zu später Stunde) die ›graue Theorie‹ näher. Kernstück: Die Drei-Akt-Struktur. Jenen, die noch ihre Drehbuch-Unschuld zu verlieren hatten, lieferte sie ein unvergeßliches Aha-Erlebnis mit: Den ›Point of No Return‹. Wenn es kein Zurück mehr gibt, wenn, wie in The Rock das Gute zum Bösen und die Handlung unumkehrbar wird, der heldenhafte Beschützer mutiert zum gemeinen Killer. Dabei ist seit Aristoteles klar: Alles hat einen Anfang, eine Mitte und ein Ende. Zu Beginn heißt es den Protagonisten ›auf den Baum jagen‹, im zweiten Akt wird er ›dort traktiert‹ und im dritten ›läßt man ihn wieder runter‹. So einfach ist das. Zuerst herrscht Ordnung, danach Chaos, zum Finale sollte es die Ordnung Wert gewesen sein, wieder hergestellt zu werden. Schließlich geht aber auch alles ganz anders. Mini-, Anti- oder Non-Plot, das ist hier die Frage - wenn eine Handlung eher sekundär ist, Ziele und Verhaltensmuster der Figuren ohnehin unklar und kaum durchschaubar keiner inneren Logik folgen sollen, oder was?

Es gibt genügend Verfechter dieser alternativen Plots - wir folgen mit Katrin Laur dem klassischen Drei-Akter und verinnerlichen hier erst einmal unser Anfänger-Latein. Exposition, Konfrontation und Entwicklung, Höhepunkt und Auflösung. Und irgendwo im Zentrum: Der ›Point of no Return.‹ Wendepunkte erhöhen die Schwierigkeiten, wie etwa eines Dustin Hoffmann in Tootsie, der sich in Frauenkleidern in die grazile Jessica Lange verliebt. Sie akzeptiert ihn als Frau, bei einer Annäherung als männliches Wesen geht er baden - Jessica Lange schüttet ihm ihren Drink ins Gesicht. Katrin Laur, unsere versierte Supervisorin, hämmert uns ein: Wichtig ist, was will die Hauptfigur, warum will sie es, was passiert, wenn sie es nicht erreicht? Sind die Charaktere dreidimensional? Welche Physiologie, Psychologie und Soziologie vereinen sie? Im Schnelldurchlauf das strukturelle Einmaleins, der Zuschauer möchte selbst ›etwas entdecken‹, man sollte nichts schreiben, ›was man nicht zeigen kann‹.

Prosaisch-poetisch: die Perlenfischerin

Prosaisch-poetisch kommt die Perlenfischerin daher, die als Nummer vier in unserer Workshop-Gruppe besprochen wird, in der ich mit meinen Exposé als letzter drankomme. Aysin ist dreizehn, als es sie auf eine Halbinsel an der chilenischen Küste verschlägt, wo ihr Großvater lebt. Dort lernt sie den Einheimischen Emo kennen und taucht mit ihm nach Perlen. Abermals eine Liebesgeschichte, eine Liaison allerdings mit mulitkulturellen Hindernissen, da nach der Rückkehr in die Berliner Heimat Emo seine Assimilierungsprobleme in der Zweierbeziehung konfliktreich auslebt. Oder so ähnlich. Kollegin Catherine erweist sich als findige Erzählerin, die sich, nachdem eine Wendung nach der anderen in Frage gestellt, in Zweifel gezogen, verworfen und doch wieder erwogen wird, immer wieder aufs Neue berappelt und an ihrem Plot weiter strickt. Neugierig wird man sein dürfen, ob es ein Happy-End geben wird oder doch keines, oder wenigstens ein halbes. Offen blieb dies bis zum Seminarende.

Wie überhaupt unsere Diskussionsrunden offenbar schon ganz im Stile veritabler Autorentreffen abliefen. Schließlich sollen, wie man hört, diese Meetings meistens dazu geführt haben, daß man alles über den Haufen wirft und wieder von vorne beginnt.

Schwerpunkt bei Yovel verlagert

Auch an meinem Vorhaben Yovel gilt es nötige Ergänzungen, Änderungen und Schwerpunktverlagerungen vorzunehmen. Steht die Odyssee meines jüdischen Protagonisten im Vordergrund, der im Alter von sieben Jahren in ein französisches Internierungslager nach Südfrankreich deportiert wird und von dort nach Hause flüchtet? Oder das nahezu reibungslose Funktionieren des deutsch-französischen Kollaborationsapparates? Wer waren die Täter, wer sind die Antagonisten Yovels, welche Nebenfiguren müssen noch eingeführt werden? Ohne das rege Interesse an dem Stoff und die uneigennützige Anteilnahme der Diskutanten steckte meine Geschichte sicher heute noch in den Kinderschuhen.

Schwächen und Stärken

Katrin Laur und Michael Joe Küspert ist es zuzuschreiben, daß wir unseren tiefen Respekt vor verfilmten Drehbüchern teilweise beträchtlich verloren. Bunte Hunde von Lars Becker, eine Kriminalstory im kleingeistigen Ganovenmilieu, gibt ein famoses Beispiel für Akteure ab, deren Motivation eher an der Oberfläche bleibt, weil die Handlung zuweilen doch etwas zu lapidar umgesetzt wurde. Nahezu einhellig waren wir aber auch der Meinung: Erst einmal soweit kommen, zu einem solchen Plot.

Vom ›Weiterschreiben nach Wunsch‹ konnte nicht mehr die Rede sein, denn jeder ging mit seiner Heldin, seinem Helden schwanger. Mit dessen Tragik, stets die Unzulänglichkeiten im Geiste hin- und herwälzend, stets das Notizbuch griffbereit, ob beim morgendlichen Zähneputzen oder tief in der Nacht bei einer halben Flasche Wein. Und immer war er zu spüren, der moralische Nachdruck, denn Meister Küspert entließ uns Drehbuch-Youngsters rund um die Uhr nicht mehr aus der Pflicht, die Elaboration der Stoffe für die nächste Sitzung voranzubringen. Erste Szenen, an einem Abend flugs zu Papier gebracht, zeigten vermeintliche Schwächen auf, aber auch erstaunliche Stärken, der Beurteilungsbogen spannte sich von ›langweilig‹ bis ›gelungen‹.

Zu allem ›positiven Streß‹ gehörte dann auch noch das Pitchen. Um das Worum-Geht’s in einem Satz oder in drei kurzen Minuten. Die Besinnung auf das Was-Sind-Wir, in welchem Stadium befindet sich unser Projekt, wer spielt welche Rolle in dem Plot? Nicht ohne mögliches Produzentenkalkül aus dem Auge zu verlieren.

Apropos: Im Schnelldurchgang erhielten wir zudem noch wertvolle Ratschläge für die Produzentensuche, wie man an Fördermittel kommt und was wohl am wertvollsten ist: die Zusage zur weiterführenden dramaturgischen Betreuung.

Viele gelobten, sich einer Autorengruppe anzuschließen - und alle wünschen sich im Grunde eines: Nächstes Jahr die erste Drehbuchfassung miteinander zu diskutieren. In derselben Besetzung, und warum nicht: Am selben Ort, zur selben Zeit, wenn die Frühjahrsstürme ums Schloß und die ehemalige Mühle tosen, in der die Bundesakademie für kulturelle Bildung residiert? Falls die Drehbuch-Werkstatt Niedersachsen in der bisherigen Form weiterarbeiten kann. Wollen wir´s hoffen, denn offenkundig hat ihn jeder von uns erreicht, in Wolfenbüttel: Seinen persönlichen ›Point of No Return‹.

(Günter Scheinpflug)


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Osnabrück-Net Letzte Änderung: Wed Apr 15 11:34:21 MET DST 1998
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