Film & Medienbuero Niedersachsen

· Rundbrief 44 ·
Fernsehen


Fernsehen aus Niedersachsen:
Nah dran sein an den Menschen
Karl Maier im Gespräch mit Marlis Fertmann

Seit 1. Oktober 1997 ist Marlis Fertmann neue Fernsehchefin im Landesfunkhaus Niedersachsen des Norddeutschen Rundfunks in Hannover. Bereits in ihrer Jugendzeit in Lemgo fühlte sie sich zum Radio hingezogen und war begeisterte Hörerin der Sendungen von Carmen Thomas.

Die journalistische Laufbahn führte Frau Fertmann über ein Zeitungsvolontariat nach Schleswig-Holstein ins Landesfunkhaus Kiel zum NDR-Hörfunk. 1992 wechselte sie zum Regionalprogramm des Fernsehens. Das ›Schleswig-Holstein-Magazin‹ ist seit 1996 das erfolgreichste Regionalprogramm aller Dritten Programme.

Läßt sich der Erfolg mit dem ›Schleswig-Holstein-Magazin‹ in Niedersachsen wiederholen?

Ich komme aus dem aktuellen Journalismus, bin also jemand, der gern das aktuelle Geschehen zu den Zuschauern bringt. Für mich ist die Region besonders attraktiv, weil man nah an die Menschen rankommt; sie können nachvollziehen, ob das, was berichtet wird, auch den Tatsachen entspricht. Niedersachsen ist ein großes Land mit vielfältigen Regionen, daher nur bedingt vergleichbar mit Schleswig-Holstein. Es ist eine große Herausforderung, in diesem Land ein so regional strukturiertes Fernsehprogramm anzubieten, daß es von allen Niedersachsen als ihr Programm angesehen wird. Ich glaube, daß die Niedersachsen gern ein Landesprogramm sehen - das zeigen die steigenden Zuschauerzahlen -, das aktuell geprägt ist, eine elektronische Abendzeitung, in der sich das Geschehen im Land widerspiegelt. Wichtig ist mir, daß wir nahe dran sind an den Menschen, ihre Alltagssituationen zeigen.

Wird ›Hallo Niedersachsen‹ regionale Fenster öffnen?

Schön wär´s - aber realistisch ist dies weder technisch noch finanziell. Ich glaube aber, daß wir mit unserem Landesprogramm aus Niedersachsen mit einer halben Stunde von montags bis sonnabends und mit den beiden vorgeschalteten kurzen Sendungen von fünf und zehn Minuten durchaus die Möglichkeit haben, in die verschiedenen Regionen zu gehen.

Ich möchte sehr starkes Gewicht darauf legen, Regionen vorzustellen, beispielsweise für eine Woche in eine Region oder in eine Stadt wie Wolfenbüttel oder nach Goslar zu gehen oder nach Bad Bentheim und dort ein Team zu stationieren, um Momentaufnahmen zu machen.

Wir arbeiten immer stärker mit Live-Berichterstattung, gehen mit unserem Satelliten-Übertragungswagen möglichst täglich ins Land.

Wir müssen lernen, Bereiche wie Politik, Kultur und Unterhaltung nicht als Konkurrenz zu begreifen, sondern in eine Sendung zu integrieren.

Zur Filmförderung: Welche Chancen sehen Sie sowohl für den NDR als auch für Antragsteller in der Filmförderung aus Mitteln des NDR in Niedersachsen?

Hier gibt es große Chancen: Uns geht es darum, mit guten Produktionen das Land Niedersachsen und seine Menschen immer wieder auf dem Bildschirm präsent zu machen. Denn dies ist eine Chance für niedersächsische Produktionsfirmen, durch Filmförderungsmittel eine Anschubfinanzierung zu erhalten. Damit keine Unklarheiten entstehen: Die Förderung muß sich am Auftrag des öffentlich-rechtlichen Senders NDR orientieren, solche Produktionen zu ermöglichen, die Akzeptanz finden.

Es geht nicht um Quote um jeden Preis, aber ganz ohne Quote geht eben auf Dauer gar nichts. Großprojekte wie ›Der Hauptmann von Köpenick‹ oder ›Der Große Bellheim‹ sind toll - aber wir brauchen auch das kleine Format, die kleine Produktion.

Welche Erfahrungen haben Sie als Mitglied des Förderbeirates gemacht?

Vorab ein Tip. Wer Anträge unvollständig ausfüllt, der riskiert Ablehnung, weil Informationen fehlen, die für die Vergabe von Mitteln unumgänglich sind. Die Treatments sind häufig zu fragmentarisch, wenn sie denn nicht - ganz im Gegenteil - so umfangreich sind, daß sie behäbig wirken.

Ich möchte nicht auf Standards herumreiten, sondern suche immer nach den Ideen in den Anträgen. Konkret: Ich liebe Alltagsgeschichten, wenn denn die Realisatoren in der Lage sind, sich in die Situation derer zu versetzen, die sie auf dem Fernsehschirm sehen werden. Menschen anzugreifen, sie abzuholen, sie mitzunehmen - das sind für mich keine Floskeln, sondern die Meßlatte beim Lesen von Anträgen.

Um es noch deutlicher zu sagen: lieblos ausgefüllte Anträge, kopierte Ideen machen mich wütend. Ich möchte, daß am Ende Filme stehen, die nicht unbedingt alle Zuschauer zufriedenstellen, aber die die Zuschauer nicht so schnell vergessen.

Mit den Mitteln der Filmförderung werden doch überwiegend klassische Fernsehfeature gefördert, die eigentlich aus dem normalen Programmetat des NDR finanziert werden müssen?

Die Filmförderung sollte niemand verwechseln mit experimentellem Filmemachen. Das gibt der Gebührenauftrag der öffentlich-rechtlichen Anstalten nicht her. Der NDR wird auch in Zukunft sowohl die Idee wie die Qualität der Drehbücher prüfen. Ideenreichtum brauchen wir, ein Mindestmaß handwerklicher Solidität. Ist das gegeben, dann strahlen wir solche Filme auch aus; denn - ich sage das gern noch mal und mit Überzeugung - Quote ist nicht alles. Genauso klar: Wer in seinem Antrag deutlich macht, daß ihn die Zuschauer überhaupt nicht interessieren, daß ihn also die Menschen nicht interessieren, der hat schlechte Karten. Und solche Produktionen wird der NDR auch künftig nicht ins Programm heben. Jedem Antragsteller muß klar sein, über die Filmförderung entscheiden die Geldgeber NDR und Land gemeinsam - aber das ist keine Garantie für eine Ausstrahlung.

Haben Sie Probleme, Sendeplätze für Niedersachsen im Gemeinschaftsprogramm von N3 zu erhalten?

Niedersachsen ist das mit Abstand größte Staatsvertragsland des Norddeutschen Rundfunks. Die Bereitschaft in Hamburg ist sehr hoch, Themen aus Niedersachsen im Programm zu plazieren. Ich habe mit Programmangeboten aus Niedersachsen sehr positive Erfahrungen gemacht, auch hinsichtlich der Plazierung. Dazu zählen natürlich auch die Produktionen, die im Rahmen der Filmförderung des NDR für Niedersachsen relevant sind. Das reicht von ›Himmel voller Geigen‹ über ›Rollei Klick‹ bis zum ›Forschungsland Niedersachsen‹.

N3 bietet leider kaum Sendeplätze für neue Sendeformen. Selbst nach Mitternacht ist es beinahe unmöglich, mit dem Medium zu experimentieren, nicht in Form des klassischen Experimentalfilms, sondern im Rahmen kultureller Fenster, die N3 zur Verfügung stellen könnte, um dem Filmnachwuchs im Sendegebiet Möglichkeiten anzubieten, aber auch, um ein jüngeres Publikum an den Sender zu binden. Laut Untersuchungen sehen N3 überwiegend Menschen ab 40/50 Jahren. Der NDR müßte doch auch ein Interesse an jüngeren Zuschauern haben.

Wir haben Interesse an allen Zuschauern, aber ich hoffe, sie halten 40-50jährige auch nicht für eine schlechte Zielgruppe oder gar für Greise. Es gibt viele Beispiele, daß auch Kurzfilme und Experimentalfilme gezeigt werden. Sie wissen genauso gut wie ich, daß die Zuschauerakzeptanz - das lag ja auch ein bißchen in der Frage drin - da nicht sonderlich hoch ist. Experimentalfilm muß nicht zwangsläufig am Zuschauerinteresse vorbeigehen, sondern kann eine sparsam angewendete Möglichkeit sein, eine bestimmte Thematik filmisch zu bearbeiten. Aber überstrapazieren Sie bitte nicht die Möglichkeiten eines Landesprogramms des Norddeutschen Rundfunks. Wir machen Fernsehen für Niedersachsen, und genau an diesem Punkt mein Appell: Experimentieren Sie stärker mit Bezug auf die Menschen hier!

Die EXPO steht vor der Tür. Welche Aufgaben kommen dabei auf das Landesfunkhaus Hannover zu?

Wir haben eine ungeheuer große Herausforderung im Jahr 2000 zu bestehen. Es ist für uns eine tolle Perspektive, fast ein halbes Jahr lang visueller Gastgeber für die ganze Welt zu sein. Die Medienpartnerschaft der ARD unter Federführung des NDR mit der EXPO ist unter Dach und Fach. Ich denke, das ist eine gute Verbindung. Der NDR ist der geborene Partner für die EXPO GmbH im Jahre 2000. Wir machen uns fit dafür, d. h. wir werden in den nächsten Jahren Produktionen anbieten, um im Vorfeld der EXPO über die Vorbereitungen zu berichten. Insbesondere werden wir natürlich ab 2000 täglich Berichte aus Hannover für alle Programme anbieten. Darauf wird sich das Landesfunkhaus personell und produktionsmäßig einstellen. Und falls das der Hintergrund Ihrer Frage war, ja, die EXPO ist auch eine Riesenchance für die Filmproduktion im Land. Hier bei uns passiert was. Es lohnt sich, dies in allen Features zu dokumentieren.

Frau Fertmann, ich bedanke mich für das Gespräch.

Am 19. Mai 1998 findet um 14 Uhr
im NDR-Landesfunkhaus Hannover
auf Einladung von Frau Fertmann ein
Treffen interessierter Produzentinnen und Produzenten
mit Frau Fertmann und Redakteurinnen und Redakteuren statt.
Vorherige Anmeldung beim Film & Medienbüro
(Tel. 05 41/2 84 26) bis 9. Mai 1998 erforderlich.


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Osnabrück-Net Letzte Änderung: Tue Apr 14 17:07:26 MET DST 1998
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