Film & Medienbuero Niedersachsen

· Rundbrief 43 ·
Verleihung des Nds. Kunstpreises 1997, 3.12.97 in Cuxhafen:
Laudatio auf Klaus Telscher


Einer der Gründe und gewiß nicht der unwesentlichste, weshalb sich Filmemacher, sofern sie sich vor allem als Künstler verstehen, experi menteller Gestaltungsmittel bedienen, dürfte der sein, daß ihnen die Standards des Dokumentarischen und des Spielfilms nicht geeignet erscheinen, das darzustellen, was auszudrücken ihnen vorschwebt. Weder die Widerspiegelung einer äußeren Realität, mehr oder weniger essayistisch gegliedert, noch die Inszenierung einer Geschichte vor der Kamera und deren erzähllogische Verknüpfung durch die Montage stoßen auf das primäre Interesse jener Filmemacher, die sich als experimentelle verstehen. Wie das Wort schon sagt: sie experimentieren. Sie verlassen den festen Boden des Gesicherten. Zwar beziehen auch sie sich aufs Dokumentarische, Erzählte, sei es, daß sie es vorfinden - found footage -, oder es so oder so in Szene setzen. Dabei verfahren sie allerdings mit dem, was sie finden oder er-finden, anders als üblich - in der Absicht, einer anderen Wirklichkeit Geltung zu ver schaffen, womöglich eine innere erfahrbar zu machen. Ich bin mit diesen allgemeinen Bemerkungen, meine Damen und Herren, schon sehr konkret bei dem, was die Arbeiten Klaus Telschers kennzeichnet und auszeichnet. Doch will ich Ihnen ein paar biographische Daten, sozusagen das Gerüst, nicht vorenthalten. Klaus Telscher, 1955 in Osnabrück geboren, studierte an der Hochschule für Gestaltung in Bremen. Ende der 70er Jahre gab es dort noch keine praktische Filmausbildung. Telscher kauft sich eine S 8- Kamera, wenig später eine 16mm; er bringt es schnell ohne Anleitung zur Meisterschaft. 1980 erscheint mit ENTWICKLUNGSSTÜCKE sein erstes, schon rundum gelungenes Werk. Das Wissen, das er sich angeeignet hat, sein Können, teilt er von Anfang an anderen, jüngeren mit. In Bremen erhält er einen Lehrauftrag; in Indien, in der Türkei sind es Workshops im Auftrag des Goetheinstituts; in Zürich wieder ein Lehrauftrag; zuletzt eine Dozentur für Film an der Fachhochschule Dortmund. Zweifellos hat Telscher die Begabung, Talente aufzuspüren und die Arbeit seiner Studenten und Studentinnen nach Kräften zu befördern. Daneben oder vielmehr hauptsächlich weiterhin das schöpferische Arbeiten an eigenen Werken. Zehn Filme hat Telscher seit seinem Erstling von 1980 gedreht. Und ohne Übertreibung darf festgestellt werden, daß er auf Grund dieses Oeuvres einer der herausragenden Persönlichkeiten des Experimentalfilms der 80er Jahre wurde. Ich sage nicht leichthin: der 80er Jahre. Denn so gut wie nichts verbindet ihn mit der Generation vor ihm, mit den 68ern, den siebzigern, denen das Experimentelle vor allem dazu diente, das Material offensiv zu erproben oder Inhalte provokativ auf die Leinwand zu setzen. Wie Telscher hingegen mit dem Material umgeht, das dient anderen Zwecken, und auch seine Inhalte wollen nicht mehr provozieren, sind eher Augenblicke einer nicht endenwollenden Melancholie, die dennoch keine schiere Verzweiflung ist. Telscher, zugehörig der No-future-Generation, infiziert von ihr, will ihr aber trotzdem nicht anheimfallen, steuert dagegen - allerdings, indem er sich rückwärts wendet, den fünfzigern, dreißigern, den zwanzigern zu. Weltflucht? Vielleicht. Jedenfalls aber die Sehnsucht nach dem unbekümmerten Leben, dem fröhlichen Drauflos eines Man Ray oder des Tausendsassas Hans Albers. Doch der Weg zurück ist dicht. Geschlossen. Das Vergangene ist nur noch als Echo zu haben, melancholisch klingendes Echo, und das besungene weite Meer ist ironischerweise nur noch ein Baggersee (WARUM IST ES AM RHEIN SO SCHÖN). Die Schwüle des Nachsommers - NACHSOMMER, ein anderer Film - ist verflogen, bevor sie recht stattgefunden hat und ein abgestellter Wohnwagen steht schließlich windschief in irgendeinem Garten, mutterseelenallein. Die Wände des Hotels sind kahl bis auf ein paar offenbar vom Benutzer angepinnte Erinnerungsfotos, kein Ausblick aus irgendeinem Fenster, nichts dergleichen (AMERICAN HOTEL). Die Villa, in der sich einst der schon erwähnte Man Ray und Luis Bunuel tummelten, ist nur noch eine Ruine, lange Gänge, verlassene Räume, ein leeres Schwimmbecken, und die Personen, die durch dieses Interieur jetzt, ja, wirklich, heute geistern - nur noch Schatten einer Vergangenheit (LA REPRISE). Eine Gegenwart, die eher selbst Erinnerung, die jedenfalls keine Zukunft mehr kennt. Und die Musik, die manchmal einsetzt, unvermittelt ins Stumme hinein: auch sie eine Reminiszenz, Schlager der 30er, 40er, 50er. Und da ist schließlich noch ein für Telscher sehr typisches Verfahren: Das belichtete Material entwickelt er selbst, und zwar gezielt fehlerhaft. Dadurch entstehen irritierende Flecken und Striemen auf der Bildoberfläche, da flackert es durchs Bild und die gezeigte Gegenwart rückt in eine ungreifbare Ferne, auch sie nur noch als Echo wahrnehmbar. (In LA REPRISE wird ein solcher Effekt u. a. durch eine harte Schwarzweiß-Lichtsetzung erzielt, die sich als grafisches Muster vor das Dargestellte schiebt. ) In gewisser Weise ist diese Zerstörung der Bildoberfläche - durchaus Bestandteil der Bildkomposition - die Materialisierung der inneren Zerrissenheit des Filmemachers, seiner Unfähigkeit, sich die äußere Wirklichkeit anzueignen, da die übermächtigen Emotionen quer schießen, nicht zu lenken sind. Insofern sind Klaus Telschers Filme intime, sehr persönliche Filme. Aber diese Art von Intimität, diese Zerrissenheit, diese Zweifel an der Echtheit der eigenen Gefühle - ist uns das nicht auch vertraut? Und deshalb sind Telschers Filme mit unseren Empfindungen kompatibel. Sie simulieren sozusagen stellvertretend unsere eigene Befindlichkeit. Seit einiger Zeit ist Klaus Telscher von einer plötzlich eingetretenen Krankheit heimgesucht, die ihn wohl noch einige Zeit an den Rollstuhl fesseln wird. Ich denke, ich darf im Namen aller hier Anwesenden sprechen, wenn ich an dieser Stelle ihm alles Gute für seine Genesung wünsche, Mut und Kraft, die Durststrecke zu überstehen, und die Hoffnung ausdrücke, daß er möglichst bald wieder dort anknüpfen kann, wo er mit seinem Film LA REPRISE zuletzt aufgehört hat. (Willi Karow)


Zurück zum: Rundbrief Inhalt

top


Osnabrück-Net Letzte Änderung: Tue Feb 10 23:46:17 MET 1998
Copyright © 1996/97 EMAF
Osnabrück-Net Office